Freitag, 24. November 2006

Kommentar zur 6. Sitzung: Teilidentitäten und virtuelle Gemeinschaften

Mein Kommentar zur Authentizität von Weblogs bezieht sich auf die sogenannten „Patchwork-Identitäten“ – der Konstruktion von Identitäten in der Spätmoderne. 2003 setzte sich Heiner Keupp aus der Sicht der Sozialpsychologie mit dieser Thematik auseinander. Unter Zuhilfenahme der Metapher des „Patchworks“ versucht er, die Mechanismen der Identitätsbildung freizulegen (Kategorien: Arbeit, Liebe, soziale Beziehungen und kulturelle Verortung). Als eine dieser Teilidentitäten sieht Heiner Keupp virtuelle Gemeinschaften, die sich mit der verstärkten Nutzung des Internets gebildet hätten und die - wie im Seminar angesprochen - ein „Gefühl der Zusammengehörigkeit“ erzeugen könnten. Was soviel hieße, dass der Mensch der Spätmoderne an verschiedenen Gemeinschaften partizipiert. H. Keupp’s Hypothese lautet daher: „Das Subjekt als Vielheit,“ während Max Weber noch meint, das „Identitätsgehäuse“ des modernen Menschen werde durch die Mächtigkeit der Wirtschaftsordnung zwanghaft bestimmt und erfordere daher eine „Unterwerfung unter ein rigides Über-Ich“während „das eigenständige kritische Ich gegen die errichtete Gewissensinstanz nur geringe Gewissensspielräume“ habe. Für die gegenwärtige pluralistische Gesellschaft aber konstatiert H. Keupp einen „Wandel von geschlossenen und verbindlichen zu offenen und zu gestaltenden sozialen Systemen“.
„Nichts ist mehr selbstverständlich so wie es ist; es könnte auch anders sein; was ich tue und wofür ich mich entscheide, erfolgt im Bewusstsein, dass es auch anders sein könnte und dass es meine Entscheidung ist, es so zu tun.“

Auch ließen sich Lebensverhältnisse nicht mehr nach den bestehenden Kategorien Zeit und Raum verorten – im Gegenteil: das Subjekt selbst wäre nun gefordert, einen aktiven Beitrag zur Konstruktion der eigenen Identität zu leisten. Jedes Subjekt habe dazu unterschiedlich ausgeprägte „materielle, soziale und psychische Ressourcen“ zur Verfügung.
Bezugnehmend auf die Untersuchung von Yasemin Dayıoğlu-Yücel (S. 187-191) gehe ich davon aus, dass Weblogs unter zwei unterschiedlichen Voraussetzungen geführt werden:
1. zur Entwicklung einer kreativen Teilidentität (was hinsichtlich neuerer Untersuchungen zur Nutzung des Internets unwahrscheinlich ist) oder
2. zur Überwindung der Alltagszwänge des reelen Lebens. Was heißen würde, dass die Teilidentitäten nie isoliert von einander betrachtet werden könnten. Oder anders – die Interaktion mit anderen im Weblog (oder anderen Formen) regt zur Reflexion mit dem Ich (bzw. Selbst) an.

Weitere Literatur zum Thema "Identitätskonstruktion": Keupp, Heiner ua.: Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne, 1. Auflage 1999, Reinbek 2006.

Vom Tagebuch zum Weblog - Zum Wandel eines analogen Kulturmusters

Ein Seminarweblog aus dem Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Karl-Franzens-Universität Graz

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